Claudia Larsmeyer
Brot und Getreide
Nirgends gibt es mehr Brotsorten als in Deutschland. Urlauber freuen sich bei der Rückkehr darauf. Herzhaftes Roggenbrot aus Sauerteig oder mehr als ein Dutzend Brötchenvarianten gibt es in anderen Ländern nicht. Aber sind die heutigen Getreidesorten noch gesund?
Getreide ist das Grundnahrungsmittel Nummer eins. Und doch gehört es erst seit wenigen tausend Jahren zur menschlichen Ernährung. Den Homo Sapiens gibt es seit gut 200.000 Jahren. Getreide wird seit 10.000 Jahren gegessen. Offenbar hat in den 190.000 Jahren davor eine Ernährung auch ohne Getreide gut funktioniert. Der Wandel hängt mit der Sesshaftigkeit zusammen. Bevor Menschen sich fest ansiedelten, sammelten sie die unreifen Ähren von Wildgräsern und die frisch gekeimten Sämlinge dieser Wildgräser. Beide sind reich an Vitalstoffen.
Mit der Sesshaftigkeit begann die Getreidezucht. Man ließ Getreidekörner keimen, stampfte sie zu Brei, würzte den Brei mit Kräutern und formte ihn zu Fladen, die man in der Sonne trocknete. Diese Fladen waren bekömmlich und – in Maßen genossen – gesund. Wir nennen diese Fladen Brot. Zwei Erfindungen haben das Brotbacken entscheidend verändert: der Bau von Backöfen und die Entdeckung der Hefe als Triebmittel. Dazu lernte der Mensch den Gärprozess zu steuern, indem er kleine Mengen des entstandenen Teiges entnahm und sie dem nächsten Teig wieder beimengte. Die Methode des Sauerteigs war bereits vor 5.000 Jahren in Ägypten bekannt.
Ziele moderner Getreidezucht
Heute soll Getreide sich maschinell ernten lassen und den Anforderungen einer technisierten Lebensmittelindustrie entsprechen. Ein hoher Glutengehalt der Getreidesorten ist wichtig. Denn Gluten ist ein Kleber. Es hält den Teig zusammenhalten und vereinfacht die Verarbeitung.
Moderner Weizen ist so intensiv gekreuzt und gezüchtet worden, dass er dem Getreide vor 50 Jahren nur noch entfernt ähnelt. Man unterscheidet etwas zwanzig Sorten. Hier die wichtigsten:
Dinkel ist der robuste Bruder des Weizens.
Grünkern, das Korn des Dinkels, wird traditionell halbreif geerntet (eine Sitte aus Schlechtwetterperioden), getrocknet und gegebenenfalls gemahlen.
Bulgur ist vorgekochter Weizen. Nach der anschließenden Trocknung wird die Kleie entfernt. Danach wird das Korn grob oder fein geschnitten („gegrützt“).
Lichtkornroggen wurde für den biologisch-dynamischen Landbau entwickelt. Das helle Mehl hat gute Inhaltsstoffe
Emmer und Einkorn sind alte Getreidesorten, die jetzt wieder im biologischen Anbau genutzt werden.
Kamut oder Khorasan-Weizen ist ein Hartweizen.
Triticale ist eine neu gezüchtete Mischung aus Weizen und Roggen. Es ist sehr eiweißhaltig, wird als Bindemittel eingesetzt und als Zusatz zu Mais in der Futtermast verwendet.
Reis gibt es als Langkorn und Rundkorn, geschält und ungeschält. Parboiled Reis wird unter Druck gedämpft, getrocknet und poliert. Durch das Verfahren wandern die Nährstoffe aus der Schale ins Innere, bleiben also auch nach dem Entfernen der Schale erhalten. Dieser Reis klebt nicht.
Was ist Gluten?
Gluten ist enthalten in Roggen, Weizen, Gerste, Dinkel.
Glutenfrei sind Mais, Reis, Hirse, Buchweizen, Hanf, Amaranth, Quinoa.
Gluten ist der „Kleber“ des Getreides. Gluten gibt dem Teig die Elastizität. Beim Kneten eines Getreidemehlteigs bilden sich lange Stränge, die stabil und flexibel zu gleich sind. Beim Backen kann sich die Luft ausdehnen und Blasen bilden – für luftiges, leichtes Brot oder Gebäck. Ein Bestandteil des Glutens sind Lektine.
Was sind Lektine?
Lektine sind Proteine. Sie haben sich entwickelt als Verteidigungsmechanismen gegen Fraßfeinde. Sie sind also eine Art natürliche Pestizide gegen Insekten, Bakterien, Kleintiere. Die meisten Lektine sind für den Menschen harmlos. Einige jedoch wirken toxisch – besonders seitdem die Abwehrkraft der Lektine im Weizen durch Zucht um das Dreifache gesteigert wurde.
Lektine können durch die Wände des Dünndarms in den Blutkreislauf eintreten und weiter entfernte Organe erreichen. Der Körper wehrt sich dagegen. Er greift die Lektine an und bildet Antikörper. Das kann zu einer Entzündung der Darmschleimhaut führen – mit Symptomen wie Gewichtsverlust, Durchfall, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Zöliakie. Man spricht vom Leaky-Gut-Syndrome, zu deutsch vom Sickerdarm-Syndrom.
Die Glutensensitivität ist weniger schwerwiegend, kann sich jedoch in ähnlichen Symptomen äußern – in Morbus Crohn und dem Reizdarmsyndrom. Inzwischen häufen sich die Fälle von Menschen, die spürbar mit Weizen (also den neuen hochgezüchteten Weizensorten) nicht mehr gut klarkommen. Diese Sensitivität ist viel weiter verbreitet als die echte Weizenallergie, die sich an Atmungsorganen und Haut manifestiert.
Wann ist Getreide ungesund?
Getreide ist ungesund, wenn es über längere Zeit in Tüten oxidiert. Vor allem Vollkornmehle sind fetthaltig – und Fette sind anfällig für Oxidation.
Getreide ist ungesund, wenn wir es unfermentiert oder roh essen.
Es ist ungesund, wenn wir es als schnell verarbeitete, weiße Brote mit aggressiv arbeitenden Triebmitteln essen. Und Getreide ist ungesund, wenn wir zuviel davon essen
Ein Buch des amerikanischen Kardiologen William Davis trägt den sprechenden Titel „Weizenwampe“. Davis weist nach, dass die Hochzüchtung des Weizens zu einer Resistenz der insulinverarbeitenden Zellen führt mit der Folge der Leberverfettung. Er rät dazu, einen Monat lang völlig auf Weizen zu verzichten und die Erleichterung an sich selbst zu beobachten.
Was kann man tun?
Auch eine geschädigte Darmschleimhaut kann sich wieder erholen. Weil toxischen Lektine besonders in Weizen, aber auch in Soja enthalten sind, macht es Sinn, für eine Zeit gänzlich darauf zu verzichten. Verzichtbar sind zuallererst die in Bäckereiketten und Supermärkten angebotenen weißen Brote. Sie sind mit aggressiv arbeitenden Triebmitteln und künstlichen Enzymen hergestellt, die den Teig bei geringer Gehzeit maschinell verarbeiten lassen. Der Teig für Industriebrötchen kommt tiefgekühlt in die Filialen. Er enthält Enzyme für eine knusprige Kruste und längere Haltbarkeit – Enzyme, die als technische Hilfsstoffe gelten, nicht als Inhaltstoffe, und die deshalb auf der Zutatenliste nicht angeben werden müssen.
Fermentation und Einweichen verbessern das Getreide
Gesund wird Getreide durch eine langsame und sorgfältige Verarbeitung. Das geht mit Einweichen, langem Fermentieren und sorgfältigem Backen. Enzyme, Bakterien und Hefen bereiten die Nährstoffe auf. Eine sorgfältige Fermentation kann sogar Gluten und dessen Bestandteile weitgehend abbauen. Ein sorgfältig hergestelltes Sauerteigbrot ist gesund. Wer auf Brot aus Getreide nicht verzichten mag, kann guten Gewissens zu Sauerteigbrot greifen.
Vollkornbrot ist kein Dickmacher
Vollkornbrot wird zu 90 Prozent aus Mehl hergestellt, das noch alle Bestandteile des Korns enthält (B-Vitamine, Mineralstoffe und Ballaststoffe vor allem aus den Randschichten). Vollkornbrot ist reich an Kohlenhydraten, die langkettig sind. Der Magen verarbeitet sie sehr langsam. Der Blutzuckerspiegel steigt nur gering an. So wird nur wenig Insulin freigesetzt, während die Fettverbrennung auf Touren kommt. Die im Brot enthaltenen Ballaststoffe quellen auf und sorgen für ein lang anhaltendes Sättigungsgefühl. Heißhunger kommt gar nicht erst auf.
Hafer – eines der gesündesten Getreide
Hafer ist glutenarm und nährstoffreich. Es das jüngste und zugleich kraftvollste Getreide. Hafer (in der Homöopathie Avena sativa) bildet seine Körner in einer verzweigten Rispe und ist nicht so ertragreich und nicht so einfach zu ernten wie Ährengetreide.
Hafer schmeckt als Frischkornmüsli, als Flocke oder als Brei. Schon kleine Mengen genügen, um den Bedarf an B-Vitaminen zu decken. Haferflocken (wie auch andere Flocken) sollten vor dem Verzehr eingeweicht oder gekocht werden.
Hirse
Hirse gehört zu den glutenfreien Getreidearten. Ihr hoher Anteil an Silizium, Eisen und Magnesium wirkt sich positiv auf Knochen, Gelenke, Haut, Haare, Nägel aus. Hirse zählt zu den basenbildenden und besonders leicht verdaulichen Getreidesorten.
Mais
Als Futtermittel landet Mais in der Massentierhaltung, als Energiepflanze in den Biogas-Anlagen, als Rohstoff zur Weiterverarbeitung in der Industrie. Mais ist wegen seiner „springenden Gene“ (Gene, die sich selbst kopieren und an anderer Stelle wieder ins Erbgut einfügen) die Lieblingspflanze der Genforscher. Mais ist in fast allen Getreideprodukten enthalten, die in den Supermärkten als „glutenfrei“ angeboten werden. Das ist zwiespältig.
Reis
Das Eiweiß im Reis ist besonders wertvoll, weil die Proteine aus essentiellen Aminosäuren aufgebaut sind, die der Körper nicht selbst herstellen kann. Zusätzlich sind Ballaststoffe und Mineralstoffe wie Magnesium, Eisen, Zink und Kalium enthalten. Reis entwässert leicht.
Amarant, Quinoa, Buchweizen, Hanf, Leinsamen…
Hier handelt es sich um Körner von Pflanzen, die nicht aus der Familie der Süßgräser stammen. Es handelt sich also nicht im strengen Sinne um Getreide – allerdings lassen sich die Körner wie Getreide verarbeiten. Die Samen von Amarant und Quinoa schmecken leicht nussig und finden oft in Müslis Verwendung. Beim Backen werden sie häufig zugemischt. Buchweizen (eigentlich ein Knöterichgewächs) schmeckt nussig. In ärmeren Gegenden (etwa in der Lüneburger Heide) war es jahrhundertelang der Ersatz für den teuren Weizen – und gilt heute als gesünder. Hanf enthält in großer Menge essentielle Aminosäuren, dazu mehrfach ungesättigte Fettsäuren wie Omega-6 und Omega-3. Die aus Südamerika importierten Chia-Samen (ein Lippenblütler wie Salbei und Rosmarin) sind reich an Eisen, Calcium und Fettsäuren; als Bestandteil des Müslis müssen sie eingeweicht werden. Leinsamen haben viele Proteine, Fette und quellende Ballaststoffe, die die Verdauung unterstützen. Sie enthalten kaum Kohlenhydrate und eignen sich deshalb für eine Low-Carb-Ernährung – am besten geschrotet oder gemahlen.
Empfehlenswert Links:
www.uuliv.de/getreide-lektine-und-warum-es-immer-mehr-menschen-krank-macht/
www.was-ist-zoeliakie.de/glutenfreie-lebensmittel/
www.gesundheit.de/ernaehrung/lebensmittel/getreide/
www.zentrum-der-gesundheit.de/
Claudia Larsmeyer HP, Martinistr. 30, 20251 Hamburg-Eppendorf, Tel. 040 8816 8000, www.praxis-martinistrasse.de